Institut für Bayerische Geschichte
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Tagungsbericht: Bayerische Römer – Römische Bayern

Lebensgeschichten aus Vor- und Frühmoderne

27.11.2014 – 29.11.2014

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von Julian Traut und Rudolf Himpsl

War der Blick der historischen Forschung zu den religiösen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen Süddeutschlands mit Rom in der Vor- und Frühmoderne bislang meist von kollektivbiographischen Ansätzen geprägt, stand die individualbiographische Perspektive mit einem stärkeren landesgeschichtlichen Aspekt auf die Außenbeziehungen eines Landes im Mittelpunkt der Tagung. Diese fand vom 27. bis 29. November 2014 an prominenter Stelle des Campo Santo Teutonico in der Vatikanstadt statt und wurde gemeinsam vom Institut für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Universität Bayreuth sowie dem Römischen Institut der Görres-Gesellschaft organisiert.

Eröffnet wurde der inhaltliche Teil der Veranstaltung durch die Sektion „Mission - Kirche - Herrschaft“ mit einem Beitrag von LUDGER KÖRNTGEN (Mainz), der die Motive bei der Institutionalisierung einer bairischen Kirchenorganisation im 8. Jahrhundert im Spiegel der Romfahrt Herzog Theodos II. 715/16 und der Erhebung Arns von Salzburg zum Erzbischof durch Papst Leo III. in Rom im Jahre 798 diskutierte. Laut Körntgen zeige sich anhand dieser Ereignisse, dass die Bildung einer Landeskirche nicht das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung war, sondern vielmehr auf einen Bruch im 8. Jahrhundert verweise. Demnach sei der Rombesuch Theodos vor allem unter religiös motivierten Gesichtspunkten zu sehen („orationis voto). Arns Aufenthalt in Rom dagegen stehe über die reine Kirchenpolitik hinaus im Zusammenhang mit seiner Rolle als enger Berater Karls des Großen. Beispielhaft für die Indienstnahme von Klerikern, die in klarer abgegrenzten Zuständigkeiten handelten, sei schließlich auch der Vorsitz Arns, den er gemeinsam mit Hildebald von Köln bei der römischen Gerichtsverhandlung über die Papstattentäter im Dezember 799 führte.

Sowohl den damaligen Herrschaftsbereich des Herzogtums wie auch das heutige Gebiet des Freistaats wählte DIETER J. WEISS (München) als geographischen Referenzrahmen seines Beitrags. In Rom fand der städtische Verfall im 11. Jahrhundert seine Entsprechung in der desolaten Gegenwart des geistigen Zentrums. Dieses „saeculum obscurum“ begründete die Nominierung einer verhältnismäßig hohen Zahl von Bischöfen aus dem Heiligen Römischen Reich durch Heinrich III. und veranschaulicht seine, aus dem Reich heraus kommenden Reformbemühungen für das Papsttum. Alle drei „bayerischen und baierischen“ Päpste hatten Heinrich bei seinem Reichszug begleitet und waren bei den Synoden von Pavia und Sutri anwesend. Insbesondere die Namenswahl Suidgers von Bamberg (Papst 1046-47) in Anlehnung an den Korintherbrief des Clemens sollte die Voranstellung Roms an die Spitze der Kirchenreform verdeutlichen. Weiß kam zu dem Schluss, dass diese drei Päpste für den Beginn der Kirchenreformierung und den Höhepunkt des kaiserlichen Einfluss stünden. Dabei sei ihr Blick auf Rom weniger auf den geographischen Ort gerichtet, sondern mehr durch dessen überzeitliche Bedeutung als Sitz der Apostelfürsten bestimmt.

Dem „unbestrittenen Gipfelpunkt“ römisch-bayerischer Beziehungen im Mittelalter widmete sich ALOIS SCHMID (München). So sei Ludwig von der herausgehobenen Stellung Roms als „caput mundi“ begründet durch die Gräber Peters und Pauls überzeugt gewesen. Schmid analysierte dabei anhand der Urkundenempfänger die Zusammensetzung des wohl mehr als 10 000 Mann starken Gefolges seines Romzuges. Neben Hochadeligen und den pfälzischen Verwandten (Hausvertrag von Pavia) seien vor allem Städte aus dem oberdeutschen Raum als Empfänger ausgewiesen. Vor ein lohnendes Rätsel stelle die Forschung der Ort Rocca di Papa, der südlichste Punkt des Itinerars Ludwigs. Spezifika, wie die Existenz eines „Quartiere Bavarese“, die Unterordnung der Ortskirche unter die deutsche Nationalkirche Santa Maria dell’Anima in Rom etc., weisen dabei auf besondere Verbindungen hin. Schließlich fragte Schmid nach der Bedeutung St. Peters als älteste Kirche Münchens. Dabei würden Schenkungen sowie Hinweise auf Versuche, ein Bistum in München einzurichten und Petrus zum bayerischen Landespatron zu ernennen, die besondere Bindung des Kaisers an die Peterskirche verdeutlichen und somit auch seiner Rom-Idee entsprechen.

Den Eröffnungsbeitrag der zweiten Sektion „Glaube - Kurie -Wirtschaft“ lieferte JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal). So existierten etwa in den Annales Stadenses oder durch Sigeric von Canterbury und Gerald von Wales Berichte zu mittelalterlichen Romreisen, doch fehle dergleichen zu Romfahrern aus Bayern. Man bleibe daher auf Zufallsfunde angewiesen, die Auskünfte über das persönlich Erlebte bei solchen Reisen erlauben. Etwa beschränkten sich Klosterannalen in der Regel auf Romfahrten geistlicher Würdenträger im Umfeld des künftigen Kaisers. Auch Bischofsviten enthielten hierüber nur spärliche Informationen. Dies zeigte Johrendt unter anderem am Beispiel der Bamberger Erzbischöfe. Ein ausführliches Verzeichnis der Reliquien, die das Kloster Tegernsee um die Jahre 1120/34 erhalten hatte, veranschauliche neben der Erwirkung von Privilegien ein weiteres Motiv für Romreisen eines Abtes im Mittelalter: die Besichtigung des Zentrums der Christenheit.

Als Beispiel spätmittelalterlicher Diplomatie thematisierte CHRISTOF PAULUS (München) eine Obödienzrede des Regensburger Domdechanten Jörg Neuhauser im Jahr 1484 vor Papst Innozenz VIII. und der römischen Kurie. Im Auftrag Albrechts IV. sollte Neuhauser mit seiner Rede dem Bayernherzog politische Spielräume eröffnen. Paulus schilderte sie als ein Wechselspiel zwischen Andeutungen, Verschweigen und detaillierter Darstellung, um Albrecht als Schlüsselgestalt nördlich der Alpen zu präsentieren. Trotz Privilegienbestätigungen für den Münchner Hof war Neuhauser im Hinblick auf die wesentlichen Ziele dieser und einer weiteren Mission im Folgejahr – Annullierung der Wahl des kaiserlichen Kandidaten zum Augsburger Bischof sowie Nominationsrecht des Herzogs für den Regensburger Bischofsstuhl – nicht erfolgreich. Seine Gesandtschaft verweise jedoch auf Ansätze zur Professionalisierung des Diplomatiewesens, wobei gerade am Heiligen Stuhl Latein- und Rechtskenntnisse sowie der geistliche Stand Voraussetzungen waren.

HELMUT FLACHENECKER (Würzburg) diskutierte in seinem Vortrag eine Quelle im Archiv des Campo Santo Teutonico, das Bruderschaftsbuch des Heiligen Kilian geführt von 1594 bis 1679. Dieses sei der einzig verfügbare Beleg für deren Existenz am Campo Santo mit 659 Namensnennungen, worunter sich sowohl Pilger und Personen mit kurialen Aufträgen als auch Künstler und Handwerker mit Herkunftsangaben aus dem gesamten west- und mitteleuropäischen Raum befanden. Dass die Zahl Letzterer gegenüber Geistlichen und Adeligen überwiege, unterscheide diese Bruderschaft wesentlich von derjenigen an der Nationalkirche Santa Maria dell’Anima. Eine Rückwirkung der Bruderschaft in Rom auf Würzburg und das dortige Bruderschaftswesen lasse sich jedoch kaum feststellen. Denn dort wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts als Kontrapunkt zur Säkularisation ein Äquivalent dieses römischen Mysteriums gegründet, welches bis heute existiert.

Über den Transfer des römischen Zeremoniells nach Bayern unter Herzog Albrecht V. referierte JÖRG BÖLLING (Göttingen/Wuppertal) in Eröffnung der dritten Sektion „Habitus – Frömmigkeit – Kunst“. Hierbei nahm er besonders die Vermittlung von kirchlicher Liturgie in den Blick, welche neben höfischer Etikette und diplomatischem Codex das Zeremoniell bestimmte. Diese Übertragung des römischen Zeremoniells nach Bayern war zu Beginn von politischer Pragmatik der Wittelsbacher sowie der Fugger vor allem während des Trienter Konzils geprägt, indem sie kulturell und zeremoniell mit Rom mithalten wollten und so ihrerseits Abschriften der eigentlich geheimen römischen Zeremonialdiarien erbaten. In der Folge überwog jedoch nach dem Trienter Konzil mehr und mehr päpstliche Pragmatik, die eine offizielle Verbreitung des Zeremoniells in Schrift, Bild und Performanz für eine Betonung der Vorrangstellung Roms förderte. So konnte eine Übertragung der römischen Zeremonien auf andere Orte erfolgen, auch wenn später in vielen papstkritischen Untersuchungen vor allem des 17. und 18. Jahrhunderts etwa von Leibnitz, Hofmann oder Döllinger meist die problematischen Inhalte des Zeremoniells rezipiert wurden.

THOMAS BROCKMANN (Münster) nahm das Auditorium mit auf die Romreise des Jakob Rabus im Heiligen Jahr 1575. Rabus war als Sohn eines protestantischen Theologen aus Ulm früh zum Katholizismus konvertiert und hatte durch den herzoglich-bayerischen Hof viel Unterstützung erfahren. Diese Konstellation als Konvertit und „Wahlbayer“ sollten ihn entscheidend prägen, als er nach Studium bei den Jesuiten in Rom und der Priesterweihe in München an der Spitze des deutschen Pilgerkontingents im Jubeljahr 1575 nach Rom aufbrach und einen Bericht über seine Erlebnisse anfertigte. Rabus Romfahrt und Romerlebnis stehen dabei stark im Kontext von Glaubensspaltung und Gegenreformation. So kann bei ihm eine Frömmigkeitspraxis spätmittelalterlicher Ausprägung auch im Spiegel der neuen Zeit bestehen, was seine Ablasspredigt am Campo Santo eindrucksvoll zeigt. Dabei betont Rabus in seinem Rombericht wie auch in seiner gesamten Tätigkeit als Kontroverspublizist die Manifestation der Universalität und Einheit der Kirche durch Rom sowie das Ausgreifen des Katholizismus in die Neue Welt.

Den Studienaufenthalt des Cosmas Damian Asam in der „Ewigen Stadt“ und seine Inspiration durch römischen Barock stellte HELENE TROTTMANN (München) in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. In eine Künstlerfamilie hineingeboren erhielt Asam nach dem Tod des Vaters die Möglichkeit für wenige Jahre seine Ausbildung in Rom fortzusetzen, wo er 1713 sogar den 1. Preis der römischen Kunstakademie gewann. Dabei wurde neben der gründlichen akademischen Schulung sowie einer Anlehnung an antike Vorbilder vor allem der große Einfluss von Präsident Carlo Moratti sowie seiner Vorgänger auf Asams nachfolgende Werke in Bayern deutlich, die er nach seinen römischen Jahren vor allem für den Benediktinerorden fertigte. Eine modifizierte Übernahme von Figuren und Bildkompositionen kann bei Asam vor allem mittels Kupferstichen etwa für die als Musterkunstwerk der damaligen Zeit angesehene Kuppel von Sant’Agnese di Piazza Navona nachgewiesen werden.

Im Eröffnungsvortrag der vierten Sektion „Politik – Diplomatie – Wissen“ sprach ALEXANDER KOLLER (Rom) über das Lebensbild des in päpstlichen wie bayerischen Diensten stehenden Minuccio Minucci. Gründend auf dem umfangreichen und sich im Besitz des Deutschen Historischen Instituts Rom befindlichen Nachlass Minuccis skizzierte Koller den ungewöhnlichen Wechsel eines päpstlichen Nuntius zum bayerischen Gesandten, der durch die Ereignisse des „Kölner Krieges“ hervorgerufen worden war. Minucci, der durch viele Reisen nördlich der Alpen ein großer Kenner der deutschen Verhältnisse war, unterstützte die Wittelsbacher enorm bei der Wahl von Ernst zum Erzbischof von Köln im Jahre 1583. Auch im Konflikt zwischen Salzburg und Bayern um Berchtesgaden antichambrierte Minuccio erfolgreich im Sinne Münchens. Somit war er maßgeblich an dem gesteigerten Ansehen und Einfluss Bayerns an der Kurie beteiligt, indem er die Wittelsbacher als katholische Garanten im Reich förderte und in regem Briefkontakt mit der herzoglichen Familie stand. Nach einem steilen Aufstieg an der Kurie wurde Minucci jedoch ab 1595 aus Rom entfernt, der Kardinalsrang blieb ihm ebenso verwehrt wie ein bedeutender Bischofssitz und er starb auf seiner letzten Reise in München.

Der besonderen Konstellation der römischen Familien Crivelli und Scarlatti als bayerische Gesandte im Rom des 17. und 18. Jahrhunderts widmete sich BETTINA SCHERBAUM (München). Hierbei sei vor allem der spezielle Charakter des römischen Hofes mit den gesandtschaftlichen Erfordernissen an Diplomatie, Repräsentation sowie liturgischen Aufgaben zu nennen. Für die Entsendung von stadtrömischen Gesandten durch die Wittelsbacher spreche zudem die guten Verbindungen vor Ort, die lange Verweildauer sowie eine enorme Kostenersparnis. Die Crivellis (von 1605 bis 1659) bzw. Scarlattis (von 1678 bis 1765) nahmen dabei über Generation vielfältigste Berichts- und Repräsentationsaufgaben für die Wittelsbacher wahr. Ihnen selbst waren ein großer Prestigegewinn, hohe gesellschaftliche Bedeutung aber auch wenig Aufstiegschancen sowie eine immense Verschuldungsgefahr beschieden. Dieses außergewöhnliche, aber durchaus erfolgreiche Gesandtschaftssystem fand im ausgehenden 18. Jahrhundert ein Ende, was vor allem auf den Bedeutungsverlust des Papsttums für Bayern zurückzuführen war.

Aus unveröffentlichten Tagebüchern schöpfend beschrieb BRITTA KÄGLER (München) in ihren Ausführungen die Kavalierstour der beiden wittelsbachischen Prinzen Philipp Moritz und Clemens August zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Rom. Hierbei boten sich durch den Bestand von zwei Schreibern aus dem Gefolge der Prinzen besondere Auswertungsmöglichkeiten und verschiedene Perspektiven dieser weder privaten noch zur Veröffentlichung gedachten Tagebücher. Vielmehr sollten sie eher als Rechenschaftsbericht für den Kurfürsten dienen, der nach Beendigung des Exils nun wieder seine Söhne auf „Grande Tour“ schicken konnte. Neben einer Beschreibung des Gefolges, sowie der einzelnen Reisestationen fallen vor allem die umfangreichen Erläuterungen des römischen Alltags und dabei vor allem die Bedeutung von Musik und mannigfaltigen Gesellschaften für die Ausbildung der Prinzen ins Auge, in dem jedoch auch persönliche Empfindungen der Brüder etwa beim Tod von Philipp Moritz im März 1719 enthalten sind.

RAINALD BECKER (Bayreuth) umriss in seinem Vortrag die Bedeutung einer der frühesten Afrikabeschreibungen des deutschen Raumes, welche der oberbayerischen Franziskaner Theodor Krump zu Beginn des 18. Jahrhunderts über seine Abessinienreise niedergeschrieben hatte. Hierbei wurde neben den transkontinentalen Beziehungen Süddeutschlands auch die Bedeutung Roms als zentrale Kontakt- und Transferstelle zwischen Nord und Süd eminent. Krump beschrieb am Anfang seines Buches die Ausbildung zum Wundarzt und Missionar für den arabischen Raum bei den Franziskanern in Rom sowie das Ziel der Reise an den abessinischen Hof, die Einheit mit der alten äthiopischen Kirche wiederherzustellen. Im Folgenden vereint das in Augsburg erschienene Werk in einer Melange aus gelehrten Elementen und Stilmitteln des Schelmenromans mit einem hohen Grad an Authentizität neben der Reisebeschreibung auch viele persönliche Begegnungen und stand somit in einer großen Tradition von Reiseliteratur aus der Fuggerstadt, obwohl es nach dem Erscheinen sehr schnell in Vergessenheit geriet.

Im abschließenden Festvortrag beschäftigte sich WALTER KARDINAL BRANDMÜLLER (Rom) aus dezidiert biographischer Perspektive den Kardinälen Karl August von Reisach, Gustav-Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Josef Hergenröther und Andreas Steinhuber. Sie alle mussten sich der Gretchenfrage ihrer Zeit – der Positionierung gegenüber Staat und Säkularisierungstendenzen – stellen. Dabei seien der ehemalige Münchner Erzbischof Reisach, der Kirchenhistoriker Hergenröther und schließlich Steinhuber dem Lager der „politicanti“ zuzuordnen. Insbesondere Letztgenanntem billigte Brandmüller großen Einfluss zu. Steinhuber, unter anderem Rektor des Collegium Germanicums sowie später Präfekt der Indexkongregation und Mitglied des Heiligen Offiziums, stellte sich nach langem Zögern gegen den Modernismus. Jedoch wurde er von der historischen Forschung bislang kaum beachtet. Daher sei noch umfassende Archivarbeit zur Zusammensetzung der einzelnen Mosaiksteine von Nöten, wie auch die Fortsetzung der „Purpura bavarica“ im 20. und 21. Jahrhundert künftige Historikergenerationen vor neue Aufgaben stelle.


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